Es ist 17.30 und jetzt fängt das Leben von Harald an.
Er hat soeben seinen Computer ausgeschaltet und ist gerade in den Aufzug gestiegen.
Es ist für ihn Feierabend. Leider ist heute Montag, daher wird’s morgen früh gleich wieder Vollgas weiter gehen, aber ein paar Stunden Freizeit hat er jetzt.
Die wollen genutzt werden. Quality-Time. Ein paar Stunden, die dazu da sind Freunde zu treffen, Sport zu machen, sich vor den Fernseher zu setzten, also einfach mal den Job aus der Birne bekommen.
Seit vielen Jahren sehnt er sich nach mehr Work-Life-Balance – also Klartext: Weniger Arbeiten, mehr Freizeit.
Das natürlich würde er nie laut aussprechen. Denn der Wunsch nach „weniger arbeiten“ darf ja nur von Gewerkschaften & Co geäußert werden.
Im Team-Meeting würde das ganz schlecht rüberkommen. Harald ist sich gar nicht klar, dass sein Wunsch nach „Work Life Balance“ eigentlich eine Mogelpackung ist (und er siegessicher auf eine Midlife Crisis zusteuert).
Er will keine Balance. Er will nicht mehr Freizeit. Er will weniger Stress.
Fehler im System: Work-Life Balance
Auch wenn es mir persönlich sehr komisch vorkommt: Work Life Balance ist nach wie vor ein Thema.
Seit Jahren wird dieses Thema diskutiert und es erscheinen noch immer Bücher zu diesem Thema. (Mittlerweile heißt es auch Work Life Integration) Da Verlage die besten Trendbarometer sind, kann man also davon ausgehen, dass das Thema noch lange nicht durch ist.
Obwohl es ein so großer Haufen Bullshit ist.
Im Jahr 2013, also in der ganz frühen Phase meiner Webseite habe ich den ersten Gastartikel rund um den Work-Life Balance Irrtum geschrieben.
Schon damals war mir klar, dass hier gehörige Denkfehler am Werke sind.
Kurz zusammen gefasst, meine damaligen Gedanken:
Balance muss nur geschaffen werden, zwischen zwei verschiedenen Polen, also in unserem Fall „Work“ und „Life“
Es sagt zwar keiner, aber jeder versteht es so:
Work ist Böse
Life ist Gut.
Als alter NLPler würde ich sagen: Eine versteckte Vorannahme.
Nämlich „Work“ ist das Böse, das Unangenehme, das eben sein muss, das aber durch „Life“ ausgeglichen werden soll.
Niemand würde zwei Dinge, die beide „gut“ sind ausbalancieren wollen.
Somit macht es allein das Wort (das nur von Hamsterradler erdacht werden konnte) nur schlimmer.
Soll damit ausgedrückt werden, dass die ganze Zeit, die du in der Arbeit (Work) verbringst, nicht dein Leben (Life) ist?
“Work-Life-Balance” kann also nur bedeuten, dass du entweder arbeitest oder ein Leben hast.
Soll meinen: Das beginnt Leben erst, wenn du abends das Büro verlässt.
Toller Glaubenssatz, der da gebastelt wird.
Dass ich mit diesen Gedanken nicht allein bin, zeigt ein Video von Robert Betz
Der Artikel zum hören:
Freizeit als falsches Ideal
Fast symbiotisch kommen im Lieferumfang auch gleich die Worte „Stress“ und „Burnout“ mit.
Der Wunsch nach mehr Work-Life Balance ist gleichzusetzen mit weniger Stress und mehr Freizeit.
Die Freizeit wird als das Allheilmittel gesehen.
„Wenn ich nur mehr Freizeit hätte, dann …“
Auch hier hat bereits das Hamsterrad bei der Entstehung des Wortes mitgearbeitet.
Das Wort „Freizeit“ ist ganz nah an „Freiheit“ dran, unser Unbewusstes versteht mit Sicherheit den Unterschied kaum.
Und es bedeutet auch somit, dass du nicht „frei“ bist, wenn du keine Freizeit hast.
Mann, Mann, Mann. Das muss man sich erst mal auf der Zunge zergehen lassen.
Die deutsche Sprache ist da echt böse. Da ist es nicht erstaunlich, dass wir so viel nach Freizeit streben und glauben, mehr davon haben zu müssen.
Mehr Freizeit = Glücklich sein.
Nur ist die Rechnung nicht so einfach. Weil du deine Work-Birne nicht so einfach ausknipsen kannst.
Wenn du im Job gefordert bist, dich dein Job fordert, du Mobbing oder Bossing erlebst und Stress zu deinem traurigen Alltag gehört, dann ist mehr Freizeit keine Lösung des Problems.
Und mehr Work Life Balance schon dreimal nicht. Nur was ist die Lösung?
Bevor wie dazu kommen, ein weiteres vom Hamsterrad erdachtes Wort, dass mehr Freizeit und mehr Freiheit suggeriert, aber einfach nur die Hölle ist.
Work-Life Blending – Vom Hamsterrad erdacht
Arbeit und Freizeit verschwimmen. Die heutige Zeit gibt dir auch als Angestellter die Möglichkeit zu Hause zu arbeiten oder am Pool oder deinem Stammcafé oder, oder, oder.
Klingt super. Wollen doch alle. Ist nur furchtbar.
He Markus, ist das nicht das, was du schon immer predigst? Deine vier W’s also die Freiheit zu entscheiden WO du WANN, WORAN und mit WEM arbeitest?
Ja, man könnte sich denken, dass Work Life Blending genau das ist, was viele digitale Nomaden und Online Entrepreneure als das Idealbild hinstellen.
Aber eben nur auf den ersten Blick.
Denn Work Life Blending ist für die Hamsterradler gedacht, also für Menschen, die einen Angestellten-Job haben, denen die Freizeit und Freiheit nur suggeriert werden soll.
Und viele (vielleicht auch du) tappen in diese Falle rein:
Home Office, flexible Arbeitszeiten & Co
Man denkt sich, das ist super:
„Ich muss nicht im Büro hocken, nicht im Stau stehen, nicht in faden Meetings sitzen. Das mach ich.“
Du hast nur die Rechnung ohne deinen Hamsterrad-Boss gemacht. Der versteht nämlich nicht darunter, dass du jetzt flexibler arbeitest.
Er versteht, dass du jetzt immer arbeitest. Weil du jetzt ja immer arbeiten kannst.
Die Grenzen sind weg. Du bist immer erreichbar, du arbeitest remote. wie es heute so schön heißt. Ein Paradies für die Architekten des Hamsterrades.
Also Finger weg von „Work Life Blending“! (Mehr dazu im Buch von Christian Scholz)
Ok, Work Life Balance ist es nicht, Work Life Blending schon gar nicht. Wenn ich vielen Stimmen da draußen glauben darf, dann ist die Lösung einfach die eigenen Berufung leben, stimmt’s, Markus?
Deine Berufung – keine Lösung sondern die nächste Gefahr
Ja und Nein.
Von der eigenen Berufung zu leben kann viele Probleme lösen.
Das beste Argument dafür ist: Arbeit kommt dir nicht wie Arbeit vor. Du tust etwas wirklich gerne, gehts darin auf, bist im Flow.
Der negative Aspekt daran: Du kennst kein Ende. Wenn dir etwas Spaß macht und du mit Feuereifer an deinem eigenen Ding arbeitest, dann gibt es einfach immer etwas zu tun und der Schlussstrich fällt dir schwer.
Er fällt dir besonders schwer, wenn dein Business zu laufen beginnt, weil du dich dann ganz von selbst in das „Höher-Schneller-Weiter-Mehr“-Hamsterrad setzt.
Das ist übrigens ein Aspekt, den dir die viele Berufungs-Coaches da draußen nicht erzählen.
Sie stellen die Berufung als das Allheilmittel hin und weisen dich nicht auf die Gefahren hin, die ein Berufungs-Business mit sich bringt.
Ich unterstelle da gar keine böse Absicht. Meistens sind sie nämlich noch nicht lange genug im Business, um wirkliche Erfahrungen diesbezüglich gemacht zu haben.
Ist ja heute so einfach: Ein Buch über Berufung lesen, ein paar Blogartikel darüber schreiben und – schwupss – schon bist du Berufung-Coach.
Verstehe mich nicht falsch: Von der eigenen Berufung leben zu können ist großartig und jeder, der das schafft, darf tiefe Dankbarkeit empfinden.
Aber das gute alte Götz-Zitat sagt es schon (nein nicht das Leck mich am A****, ich meine das andere):
„Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten“
Nur was soll man jetzt als Angestellter oder Selbständiger tatsächlich tun?
Der Ausweg aus der Work-Life Bullshit: „Gute Arbeit“ und die endgültige Trennung
Für Angestellten findet sich die Antwort in der sogenannten „guten Arbeit“
Ein Begriff, der mir immer öfter unterkommt (Artikel von t3n und dem Buch „Work Life Bullshit“)
Nur was ist gute Arbeit?
Es handelt sich um Arbeit, an der du wachsen kannst, die dich fordert aber nicht überfordert: Du entwickelst neue Fähigkeiten oder wirst in deine bestehenden besser. Wichtig ist, dass gute Arbeit nicht nur dir etwas bringt, sondern auch für andere bedeutsam ist, in dem du Sinnvolles tust.
Das klingt jetzt ein wenig nach Utopie, ist es aber nicht. Immer mehr Unternehmen haben verstanden, dass es „gute Arbeit“ braucht. Damit die Mitarbeiter zufrieden sind und somit auch das Unternehmen.
t3n hat einen guten Artikel rund um dieses Thema geschrieben und klar gemacht, warum wir gar keine Work Life Balance brauchen. (Einfach hier klicken).
Als Selbständiger musst du dich trennen
Nein, du musst nicht deine Beziehung aufgeben. Du musst nur all den technischen Möglichkeiten der heutigen Zeit widerstehen und eine klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit (leider haben wir im deutschen kein anderes Wort und bei „Quality Time“ krieg ich das kalte Kotzen) finden.
Definiere deine Arbeitszeiten, definiere deine Ergebnisse für den Tag und wenn du das geschafft hast, denke nicht
„Ich könnte jetzt noch mehr tun…“
Schalte stattdessen einfach ab.
Geh raus und lass deine Handy zu Hause.
Ist komisch am Anfang.
Wird aber immer besser.
Glaub mir.